Am 24. Juli öffnet im steirischen Gesäuse das neugegründete Arcana Festival für Neue Musik. Zeitschichten.com sprach mit dem künstlerischen Leiter, Peter Oswald, über Konzeption, Programm und die Bedeutung von Musikvermittlung für den heutigen Konzertbetrieb.
Herr Oswald, warum ein Festival für Neue Musik in der Abgeschiedenheit der steirischen Berge? Woher kommt die Motivation, was sind Ihre Ziele?
Peter Oswald: Das Gesäuse ist eine magische Region, ein fantastischer Ort dessen musikalische Implikationen bereits im Titel anklingen. Als ich zur Programmierung des Festivals eingeladen worden bin, habe ich sofort ja gesagt.
Inhaltlich spannen die Konzerte des Festivals einen weiten Bogen um ein Repertoire, das vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart reicht. Welche Schwerpunkte setzen Sie als künstlerischer Leiter in der Zusammenstellung der Programme?
Peter Oswald: Das Arcana Festival ist ganz bewusst als Festival konzipiert, dass zur Repertoirebildung der Moderne beitragen will. Wir verzichten nicht auf Uraufführungen (fünf Werke werden für das Festival geschrieben), wollen aber ganz bewusst Werke, die wir als unverzichtbar empfinden programmieren. So ist eine Komposition von Edgar Varèse, der das Festival seinen Namen verdankt, auch heute noch moderner als viele Kompositionen, die 2010 uraufgeführt werden.
Ihr Festival ist Teil der Regionale10, ein größeres Festival für zeitgenössische Kunst im Bezirk Liezen der Steiermark. Über den konkreten Bezug auf das “magische Gesäuse” hinaus, inwieweit bezieht das Arcana Festival auch lokale und regionale Musiker und Komponisten in das Programm mit ein?
Peter Oswald: Das Arcana Festival bezieht regionale Musiker in zwei konkreteten Projekten mit ein. Zuerst in dem Musikvermittlungsprojekt “Von Sternen, Nebeln und Galaxien…” der Firma Georg Fischer, des größten Arbeitgebers der Region. Hier erarbeiten drei professionelle MusikerInnen mit MitarbeiterInnen der Firma (und somit auch regionale MusikerInnen) ein neues Werk. Bezug nehmend auf Iannis Xenakis “Pleiades”, und beim zweiten Projekt “Schwarzer Peter” begibt sich das Arcana Festival auf die Spuren eines legendären Wilderes, der Ende des 19 Jahrhunderts in einer konspirativen Beziehung mit den Bauern der Region gestanden ist. Bei diesem Projekt, dass in einer atemberaubenden Naturkulisse, nach 550 Höhenmeter Aufstieg zu erleben sein wird, nehmen Blasmusikkapellen und Chöre der Region teil. Auch werden MusiklehrerInnen der Region eingebunden, die den Aufstieg in mehreren Stationen musikalisch in einer “Klangpromenade” gestalten.
Ein wichtiger Teil des Arcana Festivals ist der gesamte Komplex der Musikvermittlung. Sie bieten unter anderem Workshops zur Komposition für jedermann, Konzerte an untypischen Orten, musikalische Wanderungen, eine musikalisch-kulinarische Performance, sowie traditionelle Einführungsveranstaltungen an. Zusätzlich gehen Sie in einem “Labor” der Frage nach dem Verhältnis von Neuer Musik und den Naturwissenschaften nach. Wieviel Vermittlung braucht die Neue Musik? Ist das alles unter dem Aspekt des Marketings zu sehen oder tut sich hier eine neue Kultur des Erlebens auf, die das Erfahren der Musik durch das Publikum in den Mittelpunkt des Interesses rückt?
Peter Oswald: Ich bin überzeugt davon, dass jede Musik Vermittlung braucht. Der Vermittlungsgedanke ist dementsprechend in den letzten Jahren immer mehr in den Vordergrund getreten. Ich habe in meiner mittlerweile 25-jährigen professionellen Tätigkeit die Erfahrung gemacht, dass die Lebenswirklichkeit des einzelnen in einem direktem Verhältnis zu Neuer Musik, zu deren Struktur, zur Wahrnehmung stehen, und dass Neue Musik nicht ein “Spezialisten-Medium” ist. Deshalb sollte die Musikvermittlung den Menschen dort abholen, wo er sich in sozialer, bildungsmäßiger und psychologischer Hinsicht gerade befindet. Natürlich ist ein Quäntchen Marketing dabei, da wir volle Hallen sehr schätzen, und dies wesentlich auch zur guten Stimmung bei den Künstlern beiträgt. Entscheidend ist aber die Neue Kultur des Erlebens, die, wie Sie ja schreiben, die Erfahrung von Musik durch den einzelnen/einzelne HörerIn in den Mittelpunkt des Interesses rückt.
Auf Ihrem preisgekrönten Musiklabel Kairos veröffentlichen Sie zusammen mit Barbara Fränzen seit über zehn Jahren Neue und Neueste Musik. Wie empfinden die zahlreichen Komponisten mit denen Sie zusammenarbeiten diese neue Erfahrungs- und Eventkultur? Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder die andere diesen Entwicklungen eher skeptisch gegenübersteht und darin eine “Verflachung” der Musikkultur sieht.
Peter Oswald: Sämtliche bei Kairos veröffentlichten Komponistinnen empfinden aufgrund der spezifischen Kairos Philosophie die publizierten Werke nicht als Eventkultur, sondern als einen spezifischen und originären Zugang zu im sonstigen Musikleben verschütteten Aspekten einer Partitur (das sinnliche Erleben von Musik!). Deshalb kann von einer Verflachung der Musikkultur keine Rede sein, sondern von einer perspektivischen Vertiefung.
Vielen Dank, Herr Oswald, für das spannende Gespräch.
Das Gespräch führte Matthias Röder.
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